Buchtipps |
Ein Geist in der Kehle von Doireann Ní Ghríofa
DIES IST EIN WEIBLICHER TEXT
Zwei Schrifstellerinnen, Jahrhunderte voneinander getrennt und doch verbunden:
Im 18. Jahrhundert trinkt eine irische Adelige, als sie erfährt, dass ihr Mann ermordet wurde, eine Handvoll seines Blutes und verfasst ein außergewöhnliches Gedicht, das zum nationalen Mythos werden wird. In der Gegenwart entgeht eine junge Mutter nur knapp einer Tragödie und stößt auf ein Gedicht, das sie bereits als Schulkind gelesen hat. Besessen von den Parallelen zu ihrem eigenen Leben macht sie sich auf die Suche nach dem verschwiegenen Rest des Geschehens.Eine große Geschichte über eine Frau, die ihre Stimme befreit, indem sie in die Vergangenheit vordringt und die einer anderen findet.
In Irland ist Doireann Ní Ghríofa bekannt als Dichterin. Dies ist ihr erster Roman, der so poetisch und sprachgewaltig ist, dass es mich in Erstaunen versetzt hat. Noch nie habe ich Ähnliches gelesen und bin regelrecht in den Bann dieser beiden Frauenwelten gezogen worden. Eine absolute bezaubernde Neuentdeckung. Die beiden Übersetzer Cornelius Reiber und Jens Friebe haben eine Meisterleistung vollbracht.
Ein Sommer in Niendorf von Heinz Strunk
Der Jurist und Schriftsteller Roth, begibt sich für eine längere Auszeit nach Niendorf: Er will ein wichtiges Buch schreiben, eine Abrechnung mit seiner Familie. Am mit Bedacht gewählten Ort – im kleinbürgerlichen Ostseebad wird er seinesgleichen nicht so leicht über den Weg laufen. Und am Ende dieser Sommergeschichte ist Roth seiner alten Welt komplett abhandengekommen, ist er ein ganz anderer …
Heinz Strunk ist ja immer so eine Sache. ,Fiese Texte, sagen die einen, womit sie nicht ganz Unrecht haben. Auch in diesem Buch gibt es wieder ekelhafte Beschreibungen, die aber so gut und treffend sind, das man sich kurz schüttelt und weiterlesen muss. Mir hat das Buch gut gefallen. Der Humor und die gute Story des Anti-Helden sorgen für Lesevergnügen der besonderen Art. Nicht zu Unrecht wurde «Ein Sommer in Niendorf» für den Deutschen Buchpreis nominiert. Allerdings hätte Thomas Mann der Vergleich, den man auf den Klappentext geschrieben hat bestimmt nicht gefallen: Das neue Buch von Heinz Strunk erzählt eine Art norddeutsches «Tod in Venedig», nur sind die Verlockungen weniger feiner Art als seinerzeit beim Kollegen aus Lübeck.
Alex Capus: Susanna
Alex Capus neuer Roman handelt von der Malerin und Bürgerrechtlerin Susanna (Caroline Welden) aus Basel, die sich als erwachsene Frau mit ihrem Sohn auf den Weg macht, „Sitting Bull“ zu helfen.
Capus schafft es mit seiner schönen und doch distanzierten Sprache, dass man als Leser langsam abtaucht ins 19. Jahrhundert. Man belauscht Gespräche in Kneipen über die Revolution, begleitet die beiden mit der Dampflock durch öde Landschaft des Wilden Westens, trifft auf heruntergekommene Hotels und eine Männerwelt, der sich Susanna mutig entgegenstellt und bestaunt die Eröffnung der Brooklyn Bridge und den Einzug der ersten Glühbirnen in den Städten. Eine faszinierende Geschichte einer mutigen Frau inmitten geschichtlicher Umbrüche.
Norris von Schirach : Beutezeit
Die sich auflösende Sowjetunion zeigt sich gesellschaftlich wie ökonomisch in einer äußerst dynamischen Veränderung. Anton glaubt sich dank seiner kaufmännischen Ausbildung in London sowie jahrelanger Erfahrungen im Russland der Jelzin Ära für eine neue Herausforderung in einem der Folgestaaten Zentralasiens geeignet. „Raubtierkapitalismus im Wilden Osten“ – so könnte man Antons Erlebnisse in einem Satz beschreiben. Kasachstan- Anarchie und Korruption sind in dieser Wirtschaftswelt ohne Regeln und Gesetze die Normalität. Informativ, unterhaltsam und spannend ist dieses sehr gut geschriebene Buch mehr als ein lesenswerter Wirtschaftskrimi. „Wir konnten nur scheitern “ philosophiert Anton am Ende einer schweren Krise. Dieses Scheitern ist allerdings so grandios wie eine Wagner Oper , die der Musikfreund Anton , so sehr liebt. Anton will so gut wie möglich sauber bleiben, was nicht nur von seinen Partnern und Mitarbeitern, sondern auch von den schönen Frauen in seiner Umgebung als verrückte Marotte belächelt wird.
Niall Ferguson, DOOM

Fester Einband
592 Seiten
In der Geschichte der Menschheit sind Apokalypsen, Katastrophen und Weltuntergänge eine nicht enden wollende Konstante. Untergangsvisionen finden wir in allen Weltreligionen und Mythologien.
Katastrophen treten in sehr unterschiedlichen Formen auf und erzeugen oft Kettenreaktionen, die dann noch in gesteigerter Form auftreten. Pandemien und Kriege sind es, die der Menschheit in der Geschichte am meisten zu schaffen gemacht haben. Hungersnöte sind oft Folgen von Kriegen, Unterernährung führt wiederum zu Seuchen und Pandemien. Seuche entstanden auch in der Vergangenheit oft in Asien, verbreiteten sich von dort in der ganzen Welt aus, wobei die westlichen Länder oft schlecht vorbereitet waren und als Folge stark in Mitleidenschaft gezogen wurden. Wir können nicht wissen, wie die nächste Katastrophe aussehen wird. Wir sollten uns lieber darauf konzentrieren, unsere politischen Systeme widerstandsfähiger zu machen. Wer im Namen der öffentlichen Sicherheit einen neuen Totalitarismus der allgegenwärtigen Überwachung akzeptiert, der macht sich nicht klar, dass einige der schlimmsten in diesem Buch beschriebenen Katastrophen von totalitären Regimen verursacht wurden.
Die fast 600 Seiten des Wirtschaftswissenschaftlers und Historikers sind sehr gut gegliedert und mit Hintergrundwissen und Fakten dokumentiert.
Originaltitel: Doom: The Politics of Catastrophe / Hardcover mit Schutzumschlag, 592 Seiten/ ISBN: 978-3-421-04885-1 / Erschienen am 13. September 2021
Safranski, Einzeln sein
Fester Einband
288 Seiten
Über die Besinnung und Reflektion, über das „Einzeln sein“, das eigene Ich haben sich bereits die griechischen Philosophen Gedanken gemacht. Im Mittelalter ist der Einzelne in dem Konstrukt der sozialen und religiösen Gemeinschaft aufgegangen. Für Safranski beginnt die Erforschung des „Einzeln sein“ mit der Renaissance über die Aufklärung bis zu den Individualisten und Existenzialisten.
Die Liste der großen „Einzelnen“ ist lang von De Montaigne über philosophische und literarische Genies, wie Rousseau, Diderot, Stendhal, Kierkegaard, zur Naturphilosophie von Emerson und Thoreau. Stefan George, der sich als Träger seiner auf sich fixierten Kunstreligion verstand. Karl Jaspers, dem es um die Philosophie der Existenz ging und Heidegger sowohl bewunderte als auch entschieden ablehnte.
Die große Kenntnis Rüdiger Safranskis über Heidegger und somit auch Hannah Arendt merkt man an den Kapitel 13 und 14 deutlich an. Dies trifft auch für die brillant geschriebene Darstellungen über Jean-Paul Sartre bis Ernst Jünger zu.
Das „Einzeln sein“ ist eine Zeiterscheinung unserer Gesellschaft geworden. Allein in Deutschland existieren 18 Millionen Einzelhaushalte. In anderen Ländern der westlichen Welt ist es ähnlich, fast jeder Vierte lebt allein. Was macht das Alleinsein mit uns? Rüdiger Safranski beleuchtet dieses Beispiel Thema anhand von Beispielen des Wirkens großer Persönlichkeiten.
Ein äußerst lesenswertes Buch, das im renommierten Hanser Verlag erschienen ist.
Herfried Münkler, Marx Wagner Nietzsche. Welt im Umbruch

Fester Einband
720 Seiten
Herfried Münkler gerade erschienenes neues Buch handelt von den drei großen Deutschen des 19. Jahrhunderts Wagner, Marx und Nietzsche. Deren Schaffen zeigte in der ganzen Welt Wirkung. Alle drei hatten mit Krankheiten zu kämpfen, die starken Einfluss auf Ihr Werk hatten. Der ständig verschwenderische Wagner teilte mit dem fast permanent überschuldeten Marx die revolutionären Bestrebungen. Wobei Wagner auf praktische Erfahrungen im Straßenkampf in Dresden verweisen konnte, während Marx die gesellschaftliche Veränderung wissenschaftlich analysierend untersuchte. Wagner sah die Opern Musik nicht nur zur Unterhaltung bestimmt, sondern schaute von der Bühne ins Publikum mit dem Ziel dieses aus dessen unaufmerksamen Zerstreuung zur konzentrierten Aufmerksamkeit führen zu können.Das äußerst beachtliche Arbeitspensum Wagners war verknüpft mit gerade perfektionistischer Selbstvermarktung. In Ludwig II. , König von Bayern, hatte er die ideale Geldquelle für seine Projekte gefunden. Nietzsche verachtete Bürger und Bürgerlichkeit noch mehr und grundsätzlicher als Marx und Wagner. Wobei letzterer sich immer mehr mit der Bourgeoisie arrangierte. Gleich im ersten Kapitel gelingt es Münkler teilweise Nähe, Distanz, aber auch Abneigung der drei untereinander darzustellen Der im 19.Jahrhundert allgemein grassierende Antisemitismus war bei allen dreien, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten vorhanden. Wirkliche Nähe, ja sogar Freundschaft verband Nietzsche und Wagner und er war dessen erster „Versteher“. Alle drei befassen sich mit Goethe, Hegel, Feuerbach und Heine. Letzterer wird von Nietzsche bewundert, Marx und Wagner treffen ihn persönlich in Paris. Nietzsche war, was für einen Philosophen keineswegs selbstverständlich ist, daran interessiert seine Überlegungen in einem möglichst für alle verständlichem, geradezu literarischen Sprache zu präsentieren. Das Marxsche Werk fußt auf der Verarbeitung und Analyse des Scheitern der Revolution von 1848 und was dieses für ihn bedeutete. Erstaunlicherweise haben laut Münkler Marx und Nietzsche kaum voneinander Notiz genommen. Dieses kenntnisreiche Buch hat Münkler sich zu seinem 70.Geburtstag selbst als Geschenk gemacht. Sehr zu empfehlen für anspruchsvolle Leser.
Martin Mosebach , Krass

Fester Einband
528 Seiten
Von den Gegenständen, mit denen der offensichtlich überaus erfolgreiche Geschäftsmann Krass seine Handelstätigkeit betreibt, erfährt der Leser nur am Rande. Die Gewinnspannen müssen enorm sein, dies ermöglicht Krass, die Menschen die er um sich schart, während einer gemein-samen Reise in den Golf von Neapel aufs feinste zu verwöhnen. Geld spielt keine Rolle, es wird in einem Spezialkoffer von seinem Sekretär in bar mitgeführt. Krass benötigt auch keine Rechnungen, er weiß was alles kostet. Das Geld fasst er persönlich niemals an, dass muss für ihn der mehr-sprachige Dr.Jüngel erledigen. Ein dienst-barer, unterwürfiger Sekretär und Organisator der Reise. Und da ist da auch noch Lidewine eine schöne und lebenslustige Belgierin, die zunächst als Assistentin eines Zauberers auftritt, dessen Vorstellung von der illustren Reisegesellschaft besucht wird. Krass, von der Ausstrahlung dieser jungen Frau fasziniert , beauftragt Dr. Jüngel sie unter Vertrag zu nehmen , mit genauen Vorgaben , um ihm Gesellschaft zu leisten. Nicht an einem sexuellen Verhältnis ist er interessiert, sondern allein mit ihrer jugend-lichen Schönheit und ihrem selbstbewussten Auftreten möchte er sich umgeben. Lidewine wird aus dem Geldkoffer großzügig bis zur exquisiten Perlenkette ausgestattet. Ein amouröses Abenteuer der jungen Frau führt zum Vertragsbruch, Krass entlässt sie sofort aus seinen Diensten. Die Gesellschaft zerfällt daraufhin und somit gibt es auch für Jüngel nichts mehr zu tun. Bezahlt wurde Jüngel für seine organisatorischen Diensten eigentlich nicht, was ihm erst im Nachhinein bewusst wird , so steht er wie andere Personen im Banne dieses Machtmenschen. Beim Trennungs-gespräch gibt Krass noch Jüngel den Rat „Versuchen Sie allein durchzu-kommen, ohne Kredit, ohne Partner, vertrauen Sie nur auf sich selbst.“ Jüngel fällt buchstäblich ins Leere , neben der Geldnot ist noch das Scheitern seiner Ehe hinzugekommen. Er zieht sich in ein Landhaus von Freunden im französischen Zentralmassiv zurück. Die Schilderung dieses Jahres der Selbstfindung Jüngels bildet den 2.Teil des Buches.
Im 3.Teil , 20 Jahre später , hat es Dr. Jüngel , inzwischen Professor für Urbanistik , beruflich nach Kairo verschlagen . Der Zenit von Krass ist lange überschritten , geschäftliche Pleiten haben ihn einsam werden lassen.
Bücher dieses mit dem Büchnerpreis ausgezeichneten Sprachkünstlers sind spannend und sachkundig, immer wieder ein Lesegenuss.
Jochen Schimmang , Mein Ostende

Fester Einband
144 Seiten
Es war Liebe auf den zweiten Blick und sie begann für Jochen Schimmang an einem grauen Novemberabend Anfang der achtziger Jahre, als er mit der Fähre zu spät angekommen war, und die Zugverbindung nach Köln verpasste. Sein unfreiwilliger Aufenthalt gestaltete sich so überraschend , dass er schon auf der Rückreise beschloss diesen Ort bei nächster Gelegenheit näher ergründen zu wollen.
Auf den Spuren der Geschichte wandelnd, weiß der Autor viel Interessantes zu erzählen : So zum Beispiel, dass Ostende eine Insel war , die unmittelbar vor dem damaligen Küstenstreifen lag und nur durch einen natürlichen Kanal vom Festland getrennt war. Bald nach der Eindeichung und Entwässerung entstanden die Orte auf der Insel, von denen Ostende der größte war. Von den einst prachtvollen Villen der ‚Königin der Seebäder“ ,wie Ostende in den Prospekten der Kaiserzeit gepriesen wurde, denn nicht nur Brüssel, sondern vor allem Ostende profitierte von den Investitionen Leopold II, in Prunkbauten wie Kursaal oder Sommerresidenz , ist heute fast nichts mehr zu sehen.
Nicht nur Ostende auch alle anderen Küstenorte Belgiens haben sich dafür entschieden, mit dem „Blick aufs Meer für alle“ Kapital zu schlagen. Die heutigen Urlauber und Kurzbesucher der Stadt genießen das demokra-tische Angebot aller Qualitäts- und Preisklassen an Unterkünften und Restaurants .
Das interessant und flüssig geschriebene Buch macht Lust auf eigene Entdeckungen auf den Spuren großer Autoren wie Stefan Zweig und seine Kreise. Oder Simenon, von dem Kriminalromane auch in Ostende spielen. Den Malern von Ensor bis Spillaert, oder dem Filmemacher Henri Stock. Die Musiker alle aufzuzählen ,die hier aufgetreten oder teilweise gelebt haben, würde den Rahmen sprengen. Exemplarisch für empfehlenswerte Cafés sei nur das „Leesehuis“ und das „Botteltje“ genannt. Unbedingt empfiehlt der Autor einen Besuch im MuZee“.
Markus Kaiser , Bahnwanderland Belgien

Taschenbuch
107 Seiten
Der gerade erschienene Führer von Markus Kaiser deckt eine Marktlücke. Mit dem Zug erreicht man in kurzer Zeit die ausgewählten Ausgangspunkte in Belgien. Schon bei der Anreise kann man entspannt die Landschaft genießen und muss sich nicht auf den Straßenverkehr konzentrieren. Der gut geschriebene und einladend bunt bebilderte Führer bietet 11 Touren in der Wallonie, oft Ardennen, und 5 Wanderungen in Flandern. Geboten wird ein guter Mix unterschiedlicher Landschaften mit einigen kulturellen Highlights. Zwischen 6 und 17,5 km lang sind die vorgeschlagenen Wanderungen, mal sind es Rundwanderwege, mal sind es Wandertouren von Ort zu Ort , bei denen auch die Einkehrmöglichkeiten , soweit vorhanden , ausgewiesen werden. Am Ende jeder Wanderung ist dann auch der Bahnhof für die Rückreise erreicht. Außerdem werden weitere 10 Ausflugsziele vorgeschlagen, die man zusätzlich erkunden kann.