Buchtipps

Peter Schneider, Vivaldi und seine Töchter

Kiepenheuer&Witsch
Fester Einband
288 Seiten

Peter Schneider hat sich mit seiner Vivaldi Roman-Biographie von einem politischen zu einem virtuosen Autor entwickelt und ein sachkundiges, brillantes Buch geschrieben.
In seiner Jugend zum Priesteramt verpflichtet, wird Antonio Vivaldi wegen seiner Begabung zum Konzertmeister des Chors und Orchesters der „Pieta“, , dem Waisenhaus von Venedig, berufen und gründet dort das erste Mädchenorchester. Er erwirbt mit seinem Chor einen derartigen Ruf, dass der Adel Europas nach Venedig reist um diesen zu hören. Damit beginnt die unaufhaltsame Karriere des berühmtesten und produktivsten Musikers der Barockzeit. Faktenreich erzählt Peter Schneider den Verlauf des Musikerlebens Vivaldis, seinen Reisen nach Mantua, Rom , Dresden und Wien.
Dem Komponisten, der „Die vier Jahreszeiten“ und wie aus den Quellenangaben im Anhang des Buches zu entnehmen, über 800 Opern und Musikstücke schuf, schlug aber auch immer viel Neid entgegen. Intrigen führten ihn letztendlich auch zu einem immer schnelleren Absturz, so dass er 1740 Venedig auf der Flucht vor seinen Gläubigern verlassen muss. Als Vivaldi am 28.Juli 1741 in Wien stirbt, erhält er noch am selben Tag ein Armenbegräbnis.
Der an Venedig und an Musik interessierte Leser wird das kenntnisreich geschriebene Buch besonders genießen .

 

Norbert Gstrein , Als ich jung war

Hanser Verlag
Fester Einband
352 Seiten

Die Erzählfigur , ein Tiroler Hobby-Hochzeitsfotograph , verstrickt sich durch sein Verhalten in Situationen die ihn der Pädophilie und im Fall der toten Braut des Mordes verdächtig machen. Die Hintergründe des mysteriösen Todesfalles werden von verschiedenen Seiten poetisch beleuchtet. Verstärkt auftretende Gerüchte veranlassen den Erzähler nach Wyoming /USA auszuwandern und dort sein Einkommen 13 Jahre lang als Skilehrer in der Wintersaison zu suchen. Doch dann stirbt auch dort jemand: ein Freund, in dessen Leben sich ebenfalls mögliche Gewalt und mögliche Unschuld die Waage halten. Was wissen wir von den anderen? Was von uns selbst? Hungrig nach Leben und sehnsüchtig nach Glück findet sich Franz in Norbert Gstreins Roman auf Wegen, bei denen alle Gewissheiten fraglich werden.

 

Christoph Driessen, Geschichte Belgiens: Die gespaltene Nation (Kulturgeschichte) Pustet Verlag

Friedrich Pustet Verlag
Fester Einband
240 Seiten

Christoph Driessen stellt in seinem gerade erschienenen  Buch die Geschichte des belgischen Raumes  von seinen Anfängen in der Antike , über das Frühmittelater bis hin zur aktuellen Zeitgeschichte kompakt und gut strukturiert dar.  So werden die einzelnen Kapitel kurzweilig mit Personenporträts und Stichworten zur jeweiligen Zeitraum ergänzt , die es leicht ermöglichen gelesenes nochmals nachzuschlagen oder gezielt aufzusuchen.

Flandern, Brabant, Hennegau sowie das Bistum Lûttich entwickeln sich nach der Römerzeit als selbständige Herrschaftsgebiete und erlangen einen wesentlichen  wirtschaftlichen Aufschwung .

Im Brügge des 14. Jahrhunderts hatten alle bedeutenden, italienischen Bank-und Handelshäuser Ihre Niederlassungen . Brügge selbst leistete auf einem anderen ökonomischen Gebiet Pionierarbeit. Der Kaufmann van der Buerse ( ca. 1256-1320) unterhielt  in Brügge ein zentrales Gästehaus, in dem die wichtigsten Handeltreibende   Kaufleute abstiegen . Auch ähnliche Plätze in anderen Städten übernehmen die Funktion und den Namen Börse .

Das Herzogtum Burgund , 1363  vom französischen König als Lehen an seinen jüngsten Sohn Philipp gegeben, entwickelte sich durch Heirat und Erbschaft  zu einem der reichsten Staatengebilde. Durch Heirat der Erbtochter des Grafen von Flandern erweiterte Philipp nach dessen Tod  sein Gebiet  zu einem größeren Länderkomplex .   Philipp und auch  verstärkt sein Sohn standen in einer gewissen Konkurrenz  zu Frankreich .

Das Burgundische Reich war jedoch nicht von langer Dauer. Bereits der Nachfolger Karl der Kühne oder Tollkühne überspannte den Bogen gewaltig, sodass sein Reich zerschlagen und zum Teil als Lehen an die französische Krone zurückfiel. In dieser Krisensituation sah Maria von Burgund nur noch Hoffnung in Maximilian von Habsburg.

Über den Zeitraum der spanischen und habsburgischen Niederlande geht der Autor zur Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert über und stellt Belgien als erste Industrienation Kontinentaleuropas dar. Das Buch spart neben der  Geschichte der belgischen Staatsgründung , der Geschichte des belgischen Königshauses , die düstere Kolonialgeschichte  unter Leopold II.  nicht aus.

Die Zeit der zweimaligen deutschen Besatzung und die Zwischenkriegszeit wird ausgewogen dargestellt. Den Abschluß bildet das Kapitel „Die gespaltene Nation – Belgien seit 1945 . u.a. der Aufstieg  Brüssels  zum Mittelpunkt der Europäischen Union.

Neben zahlreichen Illustrationen , Karten und Porträts  ist besonders auch der Anhang hervorzuheben, in diesem findet der Leser neben einer Zeittafel , ein kommentiertes Literatur – und Quellenverzeichnis , sowie ein Orts, Personen und Stichwort-Register .

Das hervorragend geschriebene Buch schließt kompetent eine Lücke in der bereits vorhandenen Literatur  über Belgien in deutscher Sprache  .

 

Daniel Schönpflug „Kometenjahre. 1918: Die Welt im Aufbruch „

S.Fischer Verlag 2017
Taschenbuch
320 Seiten

Der Berliner Historiker Daniel Schönpflug läßt in seinem Buch die unterschiedlichsten Zeitzeugen  mit ihren  Erfahrungen, Hoffnungen und Enttäuschungen zu Wort kommen , die das Jahr 1918 und die unmittelbaren  Jahre danach bis 1923  lebendig werden lassen , so u.a. sind das neben dem Unterzeichner der Waffenstillstandsbedingungen, dem deutschen Staatssekretär Matthias Enzensberger, Käthe Kollwitz, Virginia Woolf , Gandhi, Harry Truman, George Grosz, Walter Gropius, Anna Mahler-Werfel, der französische  General  Ferdinand Foch .

Nach Beendigung des verheerenden Weltkrieges , beginnt für junge Demokraten, Intellektuelle und Künstler ein hoffnungsvoller Aufbruch in eine neue Zeit mit liberalen Staatsstrukturen  , Frauenwahlrecht und Rechtssicherheit. Neben der Euphorie gibt es aber auch Skepsis schließlich Enttäuschung und aufkeimender Hass.

Dieses Meisterwerk ist kurzweilig und sehr informativ geschrieben.  Es gibt einen guten Einblick in die unterschiedlichen Strömungen dieser Umbruchzeit, die das weitere 20. Jahrhundert nachhaltig prägten.

 

Daniel Kehlmann „Tyll“

Rowohlt Verlag 2017
Taschenbuch
480 Seiten

In Daniel Kehlmanns spannenden und sehr unterhaltsamen  Roman wird die Figur des allseits  bekannten  Schelmen Till Eulenspiegel in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges versetzt. Tyll wächst als der Sohn eines  forschenden  und heilkundigen Müllers auf, der  seiner Zeit weit voraus ist. Das macht ihn verdächtig, als zwei durchreisenden Jesuiten auf den Vater aufmerksam werden und Befragungen im Dorf  anstellen, finden sich bald belastende Zeugen,  die den Müller der Hexerei bezichtigen, ihm wird der Prozess gemacht. Nach der Hinrichtung des Vaters  muss Tyll fliehen,  zusammen mit der Bäckerstochter Nele schließt er  sich dem Gaukler  Pirmin an.Bei ihm durchläuft er  eine harte Schule und erlernt das notwendige Handwerk , um sein Leben als Narr bestreiten zu können. Fortan reist er durch das von  Krieg, Hungersnöten, geplagte Land und treibt seinen Spaß mit den  einfachen Leuten und verspottet die  Obrigen. Seine Wege kreuzen sich mit vielen Persönlichkeiten jener Zeit , deren Namen in Geschichtsbüchern noch zu finden  sind . So zeichnet  der Autor  sprachgewaltig und  atmosphärisch dicht  ein Panorama des Dreißigjährigen Krieges, die Verheerungen die dieser Glaubenskrieg im Lebensalltag der Menschen anrichtete. Ein sehr empfehlenswertes Buch, dass Lust macht sich vertiefend mit der Geschichte des Dreissigjährigen Krieges zu beschäftigen.

 

Carel van Schaik, Kai Michel „Das Tagebuch der Menschheit“

Rowohlt Verlag
Fester Einband
576 Seiten

Analog zur Vertreibung aus dem Paradies trägt das erste Kapitel des Buches die Überschrift „Als das Leben schwierig wurde“. Das war vor ca. 12000 Jahren, als die Menschheit sesshaft wurde. Die Zeit des freien Sammelns und Jagens nahm zwangsläufig ein Ende, es begann die Mühsal der agrarischen Naturproduktion. Ackerbau und Viehzucht brachten die Erfindung des Eigentums als folgenreichste Konsequenz des Sesshaftwerdens mit sich. Aus dem, was für jeden Umherziehenden frei zugänglich war, entstand nun der Besitz, das Eigentum. Meins und deins und somit der Kampf um Erwerb und dessen Verteidigung. Die Autoren sehen dies als den eigentlichen Sündenfall.

Die Menschen mussten sich mühsam anpassen. Die Bibel dokumentiert auf verblüffende Weise wie Gewalt, Kampf, Krieg und Ausbeutung das Leben des Menschen prägten.

Sie zeigt aber auch, woher das Bedürfnis nach Spiritualität stammt und weshalb uns nicht schon immer die Angst vom Tod umtrieb.

Die beiden Autoren nehmen uns mit auf eine Reise voller Überraschungen, die von Eden bis nach Golgotha und zur Apokalypse führt. Dabei eröffnet sich eine neue Perspektive auf die kulturelle Evolution des Menschen und der Religion, die nicht zuletzt verständlich macht, warum wir instinktiv immer noch eine Sehnsucht nach dem Paradies verspüren.

Das überaus interessante und spannend geschriebene Buch ist im Rowohlt Verlag erschienen.  JH

 

Heinz Schilling „1517 – Weltgeschichte eines Jahres“

C.H.Beck Verlag 2017
Fester Einband
364 Seiten

In diesem Buch wird das Zeitalter der Reformation aus einem globalen Blickwinkel betrachtet.
Ausgangspunkt sind die großen Ereignisse von 1517, die die Welt dieser Zeit prägen. Man erstaunt, welche Ereignisvielfalt diese Zeit und besonders dieses Jahr zu bieten hat. Fremde Länder und Kontinente rücken dabei ins Licht, Machtkonstellationen und unterschiedliche Lebensverhältnisse werden berücksichtigt. Wir lernen den entstehenden Geld- und Warentransfer kennen. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Menschen im 16. Jahrhundert trotz der Entdeckungen sowie der europäischen Expansionen noch weitgehend vom Rest der Welt getrennt lebten, so versteht man besonders die Bedeutung der Entwicklungen.
1517 in seiner Epoche des Umbruchs brachte weltweit entscheidende Veränderungen, neben den Religionen vor allem politische, klimatische und ökonomische, und somit große Verunsicherungen für die Menschen.
Mit diesem Buch hat Heinz Schilling, Professor für Europäische Geschichte der frühen Neuzeit an der Humboldt Universität Berlin, ein fulminantes Buch im Reformationsjahr vorgelegt. Das Buch ist im renommierten C. H. Beck Verlag erschienen. Von dem gleichen Autor liegt auch die berühmte Luther-Biografie „Martin Luther – Rebell in einer Zeit des Umbruchs“ bereits in der 3. Auflage vor.
Da im Werk globale Geschichtsereignisse weltweit dargestellt werden, lohnt es sich beim Lesen Putzgers Historischen Atlas parallel zur Kenntnis zu nehmen.

 

Christopf Ransmayr „Cox“

S. Fischer Verlag 2018
Taschenbuch
304 Seiten

Der Versuch die die Zeit mit einer zeitlosen Uhr zu erfassen, ist das zentrale Thema des neuen Romans „Cox – oder der Lauf der Zeit“

Cox ist der berühmteste Uhren- und Automatenbauer seiner Zeit. Sein Ruf ist aus London an die Königshöfe Europas des 18. Jahrhunderts gelangt, in deren Auftrag er die perfektesten und kostbarsten Uhren und Präzisionswerke baut. Als Geschenke der Ostindiengesellschaft sind diese vollkommenen Kunstwerke bis zu Quionlong, dem allmächtigen Kaiser von China, gelangt.

Der Kaiser ein Liebhaber und Sammler von Uhren und anderen machanischen Meisterwerker schickt zwei Gesandte, um Cox mit seinen wichtigsten Mitarbeitern nach Peking in die Verbotene Stadt einzuladen.

So wie die Uhren von Cox ist dieser Roman von Ransmayr ein Meisterwerk an Schönheit der Sprache und Vergänglichkeit der Zeit.

Der größte Wunsch des Kaisers ist eine Uhr für die Ewigkeit.

Eines der schönsten Bücher dieses Jahres. JH

 

Christian Kracht „Die Toten“

KiWi Verlag 2016
Taschenbuch
224 Seiten

Anhand von zwei Erzählsträngen führt uns Christian Kracht in seinem neuen Roman „Die Toten“ die Filmkultur der 30er Jahre vor Augen.

Erzählt wird einerseits die Geschichte von Emil Nägeli, einem schweizerischen Regisseur, der zur Festigung der deutsch-japanischen Verbindung einen deutschen Film in Japan drehen soll. Andererseits erfahren wir von Masahiko Amakasu, der in Japan ein Komplott gegen die internationale Allmacht des Hollywoodfilms vorbereitet.

Im Vordergrund der beiden Schauplätze Berlin und Japan treffen wir auf historische Personen, wie Charlie Chaplin, Sigfried Kracauer und Lotte Eisner.

Dass der Roman sich nur schemenhaft an wirkliche Begebenheiten hält, tut dem Buch keinen Abbruch, da er einen doch dazu inspiriert, sich den einen oder anderen Film der 30er Jahre wieder anzuschauen und sich auch näher mit den realen Persönlichkeiten wie Kracauer auseinander zu setzen.

Ein empfehlenswerter Roman, nicht nur aufgrund seiner wirklich schönen Sprache.

 

Martin Mosebach „Mogador“

Mogador – die alte Bezeichnung der berühmten marokkanischen Küstenstadt „Essaouira“ ist der Titel des neuen Romans des mit vielen Literaturpreisen ausgezeichneten Autors Martin Mosebach.

Die Geschichte beginnt in einem Hammam, in dem sich der junge Investmentbanker und Finanzjongleur im doppelten Sinne zu läuten versucht.

Persönlich aus kleinen Verhältnissen stammend hat Patrick Elff die aus großbürgerlicher Familie stammende Pilar geheiratet. Als unabhängige Immobilienmaklerin arbeitet sie ohne Erfolgsdruck ihren Zielen entgegen.

Patrick als promovierter Philologe ist über Umwege zum Unternehmensberater einer renommierten Düsseldorfer Bank geworden und hat sich dort zielstrebig ins mittlere Management hochgearbeitet.

Sein wichtigster Kunde ist der international agierende marokkanische Geschäftsmann Pereira, der ihn bei einem Essen in einem exklusiven Pariser Restaurant derart beeindruckt, dass er für ihn die Abwicklung eines „Geschäfts“ mit der Ukraine übernimmt. Obwohl es Patrick bei genauerem Hinsehen klar sein muss, dass hier Korruption im Spiel ist, lässt er sich vom Charisma seines Auftraggebers Pereira so beeindrucken, dass er wie schlafwandlerisch die gewünschten Transaktionen ausführt. Nachdem ein etwas unangenehmer Untergebener Patricks erhängt aufgefunden wird, bei dem Buchungen auftauchen, die weit über seine Zuständigkeiten hinausgehen, beginnt sich nicht nur die Presse sondern auch die Polizei für die Angelegenheit zu interessieren. Bei einem Pressegespräch ergreift Patrick Panik, er springt aus dem Fenster, besteigt ein Taxi, lässt sich nach Brüssel zum Flughafen chauffieren und fliegt von Zaventem nach Marrokko. Er begibt sich nach Mogador, da auch sein großer Auftraggeber Pereira aus Mogador stammt, wo er gelegentlich in seinem eigenen Luxushotel residiert. Mosebachs Schilderungen der für Patrick völlig fremden Welt fasziniert durch ihre sprachliche Exaktheit.

Wer diesen neuen Roman Mosebachs beginnt, wird so fasziniert sein, dass er die spannungsgeladene Geschichte geradezu aufsaugen wird.