Buchtipps |
Daniel Schönpflug „Kometenjahre. 1918: Die Welt im Aufbruch „

Taschenbuch
320 Seiten
Der Berliner Historiker Daniel Schönpflug läßt in seinem Buch die unterschiedlichsten Zeitzeugen mit ihren Erfahrungen, Hoffnungen und Enttäuschungen zu Wort kommen , die das Jahr 1918 und die unmittelbaren Jahre danach bis 1923 lebendig werden lassen , so u.a. sind das neben dem Unterzeichner der Waffenstillstandsbedingungen, dem deutschen Staatssekretär Matthias Enzensberger, Käthe Kollwitz, Virginia Woolf , Gandhi, Harry Truman, George Grosz, Walter Gropius, Anna Mahler-Werfel, der französische General Ferdinand Foch .
Nach Beendigung des verheerenden Weltkrieges , beginnt für junge Demokraten, Intellektuelle und Künstler ein hoffnungsvoller Aufbruch in eine neue Zeit mit liberalen Staatsstrukturen , Frauenwahlrecht und Rechtssicherheit. Neben der Euphorie gibt es aber auch Skepsis schließlich Enttäuschung und aufkeimender Hass.
Dieses Meisterwerk ist kurzweilig und sehr informativ geschrieben. Es gibt einen guten Einblick in die unterschiedlichen Strömungen dieser Umbruchzeit, die das weitere 20. Jahrhundert nachhaltig prägten.
Daniel Kehlmann „Tyll“

Taschenbuch
480 Seiten
In Daniel Kehlmanns spannenden und sehr unterhaltsamen Roman wird die Figur des allseits bekannten Schelmen Till Eulenspiegel in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges versetzt. Tyll wächst als der Sohn eines forschenden und heilkundigen Müllers auf, der seiner Zeit weit voraus ist. Das macht ihn verdächtig, als zwei durchreisenden Jesuiten auf den Vater aufmerksam werden und Befragungen im Dorf anstellen, finden sich bald belastende Zeugen, die den Müller der Hexerei bezichtigen, ihm wird der Prozess gemacht. Nach der Hinrichtung des Vaters muss Tyll fliehen, zusammen mit der Bäckerstochter Nele schließt er sich dem Gaukler Pirmin an.Bei ihm durchläuft er eine harte Schule und erlernt das notwendige Handwerk , um sein Leben als Narr bestreiten zu können. Fortan reist er durch das von Krieg, Hungersnöten, geplagte Land und treibt seinen Spaß mit den einfachen Leuten und verspottet die Obrigen. Seine Wege kreuzen sich mit vielen Persönlichkeiten jener Zeit , deren Namen in Geschichtsbüchern noch zu finden sind . So zeichnet der Autor sprachgewaltig und atmosphärisch dicht ein Panorama des Dreißigjährigen Krieges, die Verheerungen die dieser Glaubenskrieg im Lebensalltag der Menschen anrichtete. Ein sehr empfehlenswertes Buch, dass Lust macht sich vertiefend mit der Geschichte des Dreissigjährigen Krieges zu beschäftigen.
Carel van Schaik, Kai Michel „Das Tagebuch der Menschheit“

Fester Einband
576 Seiten
Analog zur Vertreibung aus dem Paradies trägt das erste Kapitel des Buches die Überschrift „Als das Leben schwierig wurde“. Das war vor ca. 12000 Jahren, als die Menschheit sesshaft wurde. Die Zeit des freien Sammelns und Jagens nahm zwangsläufig ein Ende, es begann die Mühsal der agrarischen Naturproduktion. Ackerbau und Viehzucht brachten die Erfindung des Eigentums als folgenreichste Konsequenz des Sesshaftwerdens mit sich. Aus dem, was für jeden Umherziehenden frei zugänglich war, entstand nun der Besitz, das Eigentum. Meins und deins und somit der Kampf um Erwerb und dessen Verteidigung. Die Autoren sehen dies als den eigentlichen Sündenfall.
Die Menschen mussten sich mühsam anpassen. Die Bibel dokumentiert auf verblüffende Weise wie Gewalt, Kampf, Krieg und Ausbeutung das Leben des Menschen prägten.
Sie zeigt aber auch, woher das Bedürfnis nach Spiritualität stammt und weshalb uns nicht schon immer die Angst vom Tod umtrieb.
Die beiden Autoren nehmen uns mit auf eine Reise voller Überraschungen, die von Eden bis nach Golgotha und zur Apokalypse führt. Dabei eröffnet sich eine neue Perspektive auf die kulturelle Evolution des Menschen und der Religion, die nicht zuletzt verständlich macht, warum wir instinktiv immer noch eine Sehnsucht nach dem Paradies verspüren.
Das überaus interessante und spannend geschriebene Buch ist im Rowohlt Verlag erschienen. JH
Heinz Schilling „1517 – Weltgeschichte eines Jahres“
Fester Einband
364 Seiten
In diesem Buch wird das Zeitalter der Reformation aus einem globalen Blickwinkel betrachtet.
Ausgangspunkt sind die großen Ereignisse von 1517, die die Welt dieser Zeit prägen. Man erstaunt, welche Ereignisvielfalt diese Zeit und besonders dieses Jahr zu bieten hat. Fremde Länder und Kontinente rücken dabei ins Licht, Machtkonstellationen und unterschiedliche Lebensverhältnisse werden berücksichtigt. Wir lernen den entstehenden Geld- und Warentransfer kennen. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Menschen im 16. Jahrhundert trotz der Entdeckungen sowie der europäischen Expansionen noch weitgehend vom Rest der Welt getrennt lebten, so versteht man besonders die Bedeutung der Entwicklungen.
1517 in seiner Epoche des Umbruchs brachte weltweit entscheidende Veränderungen, neben den Religionen vor allem politische, klimatische und ökonomische, und somit große Verunsicherungen für die Menschen.
Mit diesem Buch hat Heinz Schilling, Professor für Europäische Geschichte der frühen Neuzeit an der Humboldt Universität Berlin, ein fulminantes Buch im Reformationsjahr vorgelegt. Das Buch ist im renommierten C. H. Beck Verlag erschienen. Von dem gleichen Autor liegt auch die berühmte Luther-Biografie „Martin Luther – Rebell in einer Zeit des Umbruchs“ bereits in der 3. Auflage vor.
Da im Werk globale Geschichtsereignisse weltweit dargestellt werden, lohnt es sich beim Lesen Putzgers Historischen Atlas parallel zur Kenntnis zu nehmen.
Christopf Ransmayr „Cox“

Taschenbuch
304 Seiten
Der Versuch die die Zeit mit einer zeitlosen Uhr zu erfassen, ist das zentrale Thema des neuen Romans „Cox – oder der Lauf der Zeit“
Cox ist der berühmteste Uhren- und Automatenbauer seiner Zeit. Sein Ruf ist aus London an die Königshöfe Europas des 18. Jahrhunderts gelangt, in deren Auftrag er die perfektesten und kostbarsten Uhren und Präzisionswerke baut. Als Geschenke der Ostindiengesellschaft sind diese vollkommenen Kunstwerke bis zu Quionlong, dem allmächtigen Kaiser von China, gelangt.
Der Kaiser ein Liebhaber und Sammler von Uhren und anderen machanischen Meisterwerker schickt zwei Gesandte, um Cox mit seinen wichtigsten Mitarbeitern nach Peking in die Verbotene Stadt einzuladen.
So wie die Uhren von Cox ist dieser Roman von Ransmayr ein Meisterwerk an Schönheit der Sprache und Vergänglichkeit der Zeit.
Der größte Wunsch des Kaisers ist eine Uhr für die Ewigkeit.
Eines der schönsten Bücher dieses Jahres. JH
Christian Kracht „Die Toten“

Taschenbuch
224 Seiten
Anhand von zwei Erzählsträngen führt uns Christian Kracht in seinem neuen Roman „Die Toten“ die Filmkultur der 30er Jahre vor Augen.
Erzählt wird einerseits die Geschichte von Emil Nägeli, einem schweizerischen Regisseur, der zur Festigung der deutsch-japanischen Verbindung einen deutschen Film in Japan drehen soll. Andererseits erfahren wir von Masahiko Amakasu, der in Japan ein Komplott gegen die internationale Allmacht des Hollywoodfilms vorbereitet.
Im Vordergrund der beiden Schauplätze Berlin und Japan treffen wir auf historische Personen, wie Charlie Chaplin, Sigfried Kracauer und Lotte Eisner.
Dass der Roman sich nur schemenhaft an wirkliche Begebenheiten hält, tut dem Buch keinen Abbruch, da er einen doch dazu inspiriert, sich den einen oder anderen Film der 30er Jahre wieder anzuschauen und sich auch näher mit den realen Persönlichkeiten wie Kracauer auseinander zu setzen.
Ein empfehlenswerter Roman, nicht nur aufgrund seiner wirklich schönen Sprache.
Martin Mosebach „Mogador“
Mogador – die alte Bezeichnung der berühmten marokkanischen Küstenstadt „Essaouira“ ist der Titel des neuen Romans des mit vielen Literaturpreisen ausgezeichneten Autors Martin Mosebach.
Die Geschichte beginnt in einem Hammam, in dem sich der junge Investmentbanker und Finanzjongleur im doppelten Sinne zu läuten versucht.
Persönlich aus kleinen Verhältnissen stammend hat Patrick Elff die aus großbürgerlicher Familie stammende Pilar geheiratet. Als unabhängige Immobilienmaklerin arbeitet sie ohne Erfolgsdruck ihren Zielen entgegen.
Patrick als promovierter Philologe ist über Umwege zum Unternehmensberater einer renommierten Düsseldorfer Bank geworden und hat sich dort zielstrebig ins mittlere Management hochgearbeitet.
Sein wichtigster Kunde ist der international agierende marokkanische Geschäftsmann Pereira, der ihn bei einem Essen in einem exklusiven Pariser Restaurant derart beeindruckt, dass er für ihn die Abwicklung eines „Geschäfts“ mit der Ukraine übernimmt. Obwohl es Patrick bei genauerem Hinsehen klar sein muss, dass hier Korruption im Spiel ist, lässt er sich vom Charisma seines Auftraggebers Pereira so beeindrucken, dass er wie schlafwandlerisch die gewünschten Transaktionen ausführt. Nachdem ein etwas unangenehmer Untergebener Patricks erhängt aufgefunden wird, bei dem Buchungen auftauchen, die weit über seine Zuständigkeiten hinausgehen, beginnt sich nicht nur die Presse sondern auch die Polizei für die Angelegenheit zu interessieren. Bei einem Pressegespräch ergreift Patrick Panik, er springt aus dem Fenster, besteigt ein Taxi, lässt sich nach Brüssel zum Flughafen chauffieren und fliegt von Zaventem nach Marrokko. Er begibt sich nach Mogador, da auch sein großer Auftraggeber Pereira aus Mogador stammt, wo er gelegentlich in seinem eigenen Luxushotel residiert. Mosebachs Schilderungen der für Patrick völlig fremden Welt fasziniert durch ihre sprachliche Exaktheit.
Wer diesen neuen Roman Mosebachs beginnt, wird so fasziniert sein, dass er die spannungsgeladene Geschichte geradezu aufsaugen wird.
Juli Zeh „Unterleuten“
Nach ihrem Debütroman „Adler und Engel“, erschienen 2001, mittlerweile in 35 Sprachen übersetzt und ein Welterfolg, legt die 1974 in Bonn geborene, derzeit in Brandenburg lebende Autorin, einen brillant geschriebenen Gesellschaftsroman vor.
Aus unterschiedlichen Beweggründen treffen der Großstadt überdrüssige Städter im ca 100 km von Berlin entfernten Ort „Unterleuten“ auf die alteingesessene Bevölkerung, die sich seit ewig kennen und in Freund- und Feindschaft miteinander verbunden sind. In diesem Mikrokosmos leben starke Charaktere, wie Kron, Altkommunist und Wendeverlierer, der gegen die Ungerechtigkeit der neuen Zeit Stellung bezieht und die alten LPG-ler hinter sich weiß. Sein historischer Gegenspieler Gombrowski stammt aus der Familie der alten Großgrundbesitzer des Ortes, der wie die Kleinbauern ebenfalls in die LPG gezwungen wurde und seinen Familienbesitz nach der Wende zurückerhält und mit seinem Betrieb der größte Arbeitgeber im Ort ist. Aber auch die Neubürger haben ganz unterschiedliche Interessen, vom Leiter des Vogelschutzbundes Gerhard Fließ bis zur Pferdeflüsterin Linda Franzen. Mit der Planung eines Windparks trifft die Energiewende auf Unterleuten. Handfeste materielle Interessen treffen nun zusätzlich auf die unterschiedlichen Personen und Gruppen. Juli Zeh kann bescheinigt werden einen hervorragenden, äußerst spannenden und unterhaltsamen, in weiten Strecken auch humorvollen Roman geschrieben zu haben. Trotz der 600 Seiten, eine sehr kurzweilige Lektüre. JH
Paul Mason „Postkapitalismus „
Paul Mason vertritt in seinem Buch „Postkapitalismus -Grundrisse einer kommenden Ökonomie“ die These: Wir stehen vor etwas Neuem. Wir haben unsere Welt durch Unterlassung und hinhaltendem Verhalten in vor allem drei Kernbereichen, dem Klima, der Demographie und den Finanzen, in eine Situation gebracht, die das Risiko schwerer Erschütterungen in sich birgt. Es sieht so aus als würden sich die Folgen dieser drei sich gegenseitig noch verstärkenden Hauptprobleme auf Grund der Grenzen der menschlichen Willenskraft noch dramatisch verschärfen. Der Druck auf Veränderungen wird in den kommenden Jahrzehnten so zunehmen, dass sich zwangsläufig entscheidende Veränderungen einstellen werden. Wenn wir Einfluss auf die Gestaltung nehmen wollen, müssen wir Position beziehen.
Dieses Buch stellt themenübergreifend viele Fakten dar, welche dringend notwendige Diskussionen auslösen werden. JH
Irmgard Keun „Kind aller Länder“
Eine interessante Wiederentdeckung und kurzweilig zu lesen ist der 1938 in Amsterdam erschienene Exilroman „ Kind aller Länder“ von Irmgard Keun . Nach der Lektüre von Volker Weidermanns kenntnisreichen Buch „Ostende 1936. Sommer einer Freundschaft“ ist unschwer der autobiographische Bezug in diesem Roman zu erkennen. Kully, ein kleines aufgewecktes Mädchen, erzählt vom rast-und ruhelosen, aufregenden Leben ihrer Familie im Exil. Der Vater , ein bekannter Schriftsteller und Journalist, muss Deutschland verlassen , seine Bücher sind dort verboten , zusammen mit Frau und Kind reist er quer durch Europa bis nach Amerika, immer auf der Suche nach neuen Geldgebern und Sponsoren für seine Buchprojekte, immer in der Sorge um Visa und gültige Ausweisdokumente . Sobald das Geld aufgetrieben, ist es verschwenderisch wieder ausgegeben. Frau und Kind bleiben oft mittellos „als Pfand“ in den Hotels von Brüssel , Ostende, Amsterdam usw. zurück , die Gläubiger vertröstend, und auf den Vater wartend .Kully ist oft auf sich allein gestellt und so erkundet sie mit kindlicher Neugier und Unbefangenheit ihre Umwelt und versucht sie sich zu erklären und zu deuten, daraus entsteht ein bewegendes Zeitdokument mit beklemmend aktuellen Bezügen.SH