Buchtipps

Lichtspiel von Daniel Kehlmann

Rowohlt Verlag
Hardcover 480 Seiten

Einer der Größten des Kinos, vielleicht der größte Regisseur seiner Epoche: Zur Machtergreifung dreht G.W. Pabst in Frankreich; vor den Gräueln des neuen Deutschlands flieht er nach Hollywood. Aber unter der blendenden Sonne Kaliforniens sieht der weltberühmte Regisseur mit einem Mal aus wie ein Zwerg. Nicht einmal Greta Garbo, die er unsterblich gemacht hat, kann ihm helfen. Und so findet Pabst sich, fast wie ohne eigenes Zutun, in seiner Heimat Österreich wieder, die nun Ostmark heißt. Die barbarische Natur des Regimes spürt die heimgekehrte Familie mit aller Deutlichkeit. Doch der Propagandaminister in Berlin will das Filmgenie haben, er kennt keinen Widerspruch, und er verspricht viel. Während Pabst noch glaubt, dass er dem Werben widerstehen, dass er sich keiner Diktatur als der der Kunst fügen wird, ist er schon den ersten Schritt in die rettungslose Verstrickung gegangen. Daniel Kehlmanns Roman über Kunst und Macht, Schönheit und Barbarei zeigt, was Literatur vermag: durch Erfindung die Wahrheit hervortreten zu lassen.

 

Der belgische Konsul von Amélie Nothomb

Diogenes Verlag
Fester Einband
144 Seiten

Sein erster Posten führt Patrick Nothomb in den jüngst unabhängig gewordenen Kongo. In Stanleyville soll er als Generalkonsul Belgien vertreten. Aber das Jahr 1964 hält anderes bereit, und so muss er, der kein Blut sehen kann, um das Leben Hunderter Geiseln verhandeln. Doch wer ist dieser junge Mann? Amélie Nothomb zeichnet das Bild seiner Kindheit zwischen belgischer Hautevolee und wilden Ardennen. Ein intimes Familienporträt, aber auch die Geschichte einer Welt im Wandel.

 

22 Bahnen von Caroline Wahl

Dumont Verlag Hardcover 208 Seiten

Tildas Tage sind strikt durchgetaktet: studieren, an der Supermarktkasse sitzen, sich um ihre kleine Schwester Ida kümmern – und an schlechten Tagen auch um die Mutter. Zu dritt wohnen sie im traurigsten Haus der Fröhlichstraße in einer Kleinstadt, die Tilda hasst. Ihre Freunde sind längst weg, leben in Amsterdam oder Berlin, nur Tilda ist geblieben. Denn irgendjemand muss für Ida da sein, Geld verdienen, die Verantwortung tragen. Nennenswerte Väter gibt es keine, die Mutter ist alkoholabhängig. Eines Tages aber geraten die Dinge in Bewegung: Tilda bekommt eine Promotion in Berlin in Aussicht gestellt, und es blitzt eine Zukunft auf, die Freiheit verspricht. Und Viktor taucht auf, der große Bruder von Ivan, mit dem Tilda früher befreundet war. Viktor, der – genau wie sie – immer 22 Bahnen schwimmt. Doch als Tilda schon beinahe glaubt, es könnte alles gut werden, gerät die Situation zu Hause vollends außer Kontrolle.

Eine sehr gute Erzählung und auch Liebesgeschichte, die trotz des schweren und wichtigen Themas eine Leichtigkeit besitzt. Ich habe es an einem Tag verschlungen. Herzerwärmend, modern und optimistisch.

 

Ein Geist in der Kehle von Doireann Ní Ghríofa

btb Verlag Hardcover 384 Seiten

DIES IST EIN WEIBLICHER TEXT

Zwei Schrifstellerinnen, Jahrhunderte voneinander getrennt und doch verbunden: 

Im 18. Jahrhundert trinkt eine irische Adelige, als sie erfährt, dass ihr Mann ermordet wurde, eine Handvoll seines Blutes und verfasst ein außergewöhnliches Gedicht, das zum nationalen Mythos werden wird. In der Gegenwart entgeht eine junge Mutter nur knapp einer Tragödie und stößt auf ein Gedicht, das sie bereits als Schulkind gelesen hat. Besessen von den Parallelen zu ihrem eigenen Leben macht sie sich auf die Suche nach dem verschwiegenen Rest des Geschehens.Eine große Geschichte über eine Frau, die ihre Stimme befreit, indem sie in die Vergangenheit vordringt und die einer anderen findet.

In Irland ist Doireann Ní Ghríofa bekannt als Dichterin. Dies ist ihr erster Roman, der so poetisch und sprachgewaltig ist, dass es mich in Erstaunen versetzt hat. Noch nie habe ich Ähnliches gelesen und bin regelrecht in den Bann dieser beiden Frauenwelten gezogen worden. Eine absolute bezaubernde Neuentdeckung. Die beiden Übersetzer Cornelius Reiber und Jens Friebe haben eine Meisterleistung vollbracht. 

 

Ein Sommer in Niendorf von Heinz Strunk

Rowohlt Verlag
Fester Einband
240 Seiten

Der Jurist und Schriftsteller Roth, begibt sich für eine längere Auszeit nach Niendorf: Er will ein wichtiges Buch schreiben, eine Abrechnung mit seiner Familie. Am mit Bedacht gewählten Ort – im kleinbürgerlichen Ostseebad wird er seinesgleichen nicht so leicht über den Weg laufen. Und am Ende dieser Sommergeschichte ist Roth seiner alten Welt komplett abhandengekommen, ist er ein ganz anderer …

Heinz Strunk ist ja immer so eine Sache. ,Fiese Texte, sagen die einen, womit sie nicht ganz Unrecht haben. Auch in diesem Buch gibt es wieder ekelhafte Beschreibungen, die aber so gut und treffend sind, das man sich kurz schüttelt und weiterlesen muss. Mir hat das Buch gut gefallen. Der Humor und die gute Story des Anti-Helden sorgen für Lesevergnügen der besonderen Art. Nicht zu Unrecht wurde «Ein Sommer in Niendorf» für den Deutschen Buchpreis nominiert. Allerdings hätte Thomas Mann der Vergleich, den man auf den Klappentext geschrieben hat bestimmt nicht gefallen: Das neue Buch von Heinz Strunk erzählt eine Art norddeutsches «Tod in Venedig», nur sind die Verlockungen weniger feiner Art als seinerzeit beim Kollegen aus Lübeck.

 

Alex Capus: Susanna

Hanser Verlag
Fester Einband
285 Seiten

Alex Capus neuer Roman handelt von der Malerin und Bürgerrechtlerin Susanna (Caroline Welden) aus Basel, die sich als erwachsene Frau mit ihrem Sohn auf den Weg macht, „Sitting Bull“ zu helfen.

Capus schafft es mit seiner schönen und doch distanzierten Sprache, dass man als Leser langsam abtaucht ins 19. Jahrhundert. Man belauscht Gespräche in Kneipen über die Revolution, begleitet die beiden mit der Dampflock durch öde Landschaft des Wilden Westens, trifft auf heruntergekommene Hotels und eine Männerwelt, der sich Susanna mutig entgegenstellt und bestaunt die Eröffnung der Brooklyn Bridge und den Einzug der ersten Glühbirnen in den Städten. Eine faszinierende Geschichte einer mutigen Frau inmitten geschichtlicher Umbrüche.

 

Norris von Schirach : Beutezeit

Penguin Verlag
Fester Einband
352 Seiten

Die sich auflösende Sowjetunion zeigt sich gesellschaftlich wie ökonomisch in einer äußerst dynamischen Veränderung. Anton glaubt sich dank seiner kaufmännischen Ausbildung in London sowie jahrelanger Erfahrungen im Russland der Jelzin Ära für eine neue Herausforderung in einem der Folgestaaten Zentralasiens geeignet. „Raubtierkapitalismus im Wilden Osten“ – so könnte man Antons Erlebnisse in einem Satz beschreiben. Kasachstan- Anarchie und Korruption sind in dieser Wirtschaftswelt ohne Regeln und Gesetze die Normalität. Informativ, unterhaltsam und spannend ist dieses sehr gut geschriebene Buch mehr als ein lesenswerter Wirtschaftskrimi. „Wir konnten nur scheitern “ philosophiert Anton am Ende einer schweren Krise. Dieses Scheitern ist allerdings so grandios wie eine Wagner Oper , die der Musikfreund Anton , so sehr liebt. Anton will so gut wie möglich sauber bleiben, was nicht nur von seinen Partnern und Mitarbeitern, sondern auch von den schönen Frauen in seiner Umgebung als verrückte Marotte belächelt wird.

 

Niall Ferguson, DOOM

DVA Verlag
Fester Einband
592 Seiten

In der Geschichte der Menschheit sind Apokalypsen, Katastrophen und Weltuntergänge eine nicht enden wollende Konstante. Untergangsvisionen finden wir in allen Weltreligionen und Mythologien.

Katastrophen treten in sehr unterschiedlichen Formen auf und erzeugen oft Kettenreaktionen, die dann noch in gesteigerter Form auftreten. Pandemien und Kriege sind es, die der Menschheit in der Geschichte am meisten zu schaffen gemacht haben. Hungersnöte sind oft Folgen von Kriegen, Unterernährung führt wiederum zu Seuchen und Pandemien. Seuche entstanden auch in der Vergangenheit oft in Asien, verbreiteten sich von dort in der ganzen Welt aus, wobei die westlichen Länder oft schlecht vorbereitet waren und als Folge stark in Mitleidenschaft gezogen wurden. Wir können nicht wissen, wie die nächste Katastrophe aussehen wird. Wir sollten uns lieber darauf konzentrieren, unsere politischen Systeme widerstandsfähiger zu machen. Wer im Namen der öffentlichen Sicherheit einen neuen Totalitarismus der allgegenwärtigen Überwachung akzeptiert, der macht sich nicht klar, dass einige der schlimmsten in diesem Buch beschriebenen Katastrophen von totalitären Regimen verursacht wurden.

Die fast 600 Seiten des Wirtschaftswissenschaftlers und Historikers sind sehr gut gegliedert und mit Hintergrundwissen und Fakten dokumentiert.

Originaltitel: Doom: The Politics of Catastrophe / Hardcover mit Schutzumschlag, 592 Seiten/ ISBN: 978-3-421-04885-1 / Erschienen am  13. September 2021

 

Safranski, Einzeln sein

Einzeln sein
Hanser Verlag
Fester Einband
288 Seiten

Über die Besinnung und Reflektion, über das „Einzeln sein“, das eigene Ich haben sich bereits die griechischen Philosophen Gedanken gemacht. Im Mittelalter ist der Einzelne in dem Konstrukt der sozialen und religiösen Gemeinschaft aufgegangen. Für Safranski beginnt die Erforschung des „Einzeln sein“ mit der Renaissance über die Aufklärung bis zu den Individualisten und Existenzialisten.

Die Liste der großen „Einzelnen“ ist lang von De Montaigne über philosophische und literarische Genies, wie Rousseau, Diderot, Stendhal, Kierkegaard, zur Naturphilosophie von Emerson und Thoreau. Stefan George, der sich als Träger seiner auf sich fixierten Kunstreligion verstand. Karl Jaspers, dem es um die Philosophie der Existenz ging und Heidegger sowohl bewunderte als auch entschieden ablehnte.

Die große Kenntnis Rüdiger Safranskis über Heidegger und somit auch Hannah Arendt merkt man an den Kapitel 13 und 14 deutlich an. Dies trifft auch für die brillant geschriebene Darstellungen über Jean-Paul Sartre bis Ernst Jünger zu.

Das „Einzeln sein“ ist eine Zeiterscheinung unserer Gesellschaft geworden. Allein in Deutschland existieren 18 Millionen Einzelhaushalte. In anderen Ländern der westlichen Welt ist es ähnlich, fast jeder Vierte lebt allein. Was macht das Alleinsein mit uns? Rüdiger Safranski beleuchtet dieses Beispiel Thema anhand von Beispielen des Wirkens großer Persönlichkeiten.

Ein äußerst lesenswertes Buch, das im renommierten Hanser Verlag erschienen ist.

 

Herfried Münkler, Marx Wagner Nietzsche. Welt im Umbruch

Rowohlt Verlag
Fester Einband
720 Seiten

Herfried Münkler gerade erschienenes neues Buch handelt von den drei  großen Deutschen des 19. Jahrhunderts Wagner, Marx und Nietzsche. Deren Schaffen zeigte in der ganzen Welt Wirkung. Alle drei hatten mit Krankheiten zu kämpfen, die starken Einfluss auf Ihr Werk hatten. Der ständig verschwenderische Wagner teilte mit dem fast permanent überschuldeten Marx die revolutionären Bestrebungen. Wobei Wagner auf praktische Erfahrungen im Straßenkampf  in Dresden verweisen konnte, während Marx die gesellschaftliche Veränderung wissenschaftlich analysierend  untersuchte.  Wagner sah die Opern Musik nicht nur zur Unterhaltung bestimmt, sondern schaute von der Bühne ins  Publikum mit dem Ziel dieses aus dessen unaufmerksamen Zerstreuung zur konzentrierten Aufmerksamkeit führen zu können.Das äußerst beachtliche Arbeitspensum Wagners war verknüpft mit gerade perfektionistischer Selbstvermarktung. In Ludwig II. , König von Bayern,   hatte er die ideale Geldquelle für seine Projekte gefunden. Nietzsche verachtete Bürger und Bürgerlichkeit noch mehr und grundsätzlicher als Marx und Wagner. Wobei letzterer sich immer mehr mit der Bourgeoisie arrangierte. Gleich im ersten Kapitel gelingt es Münkler teilweise Nähe, Distanz, aber auch Abneigung der drei untereinander darzustellen Der im 19.Jahrhundert allgemein grassierende Antisemitismus war bei allen dreien, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten  vorhanden. Wirkliche Nähe, ja sogar Freundschaft verband Nietzsche  und Wagner und er  war dessen erster „Versteher“. Alle drei  befassen sich mit Goethe, Hegel, Feuerbach und Heine. Letzterer wird von Nietzsche bewundert, Marx und Wagner treffen ihn persönlich in Paris. Nietzsche war, was für einen Philosophen keineswegs selbstverständlich ist, daran interessiert seine Überlegungen in einem möglichst für alle verständlichem, geradezu literarischen Sprache zu präsentieren. Das Marxsche Werk fußt auf der Verarbeitung und Analyse des Scheitern der  Revolution von 1848 und was dieses für ihn bedeutete. Erstaunlicherweise haben laut Münkler Marx und Nietzsche kaum voneinander Notiz genommen. Dieses kenntnisreiche Buch hat Münkler sich zu seinem 70.Geburtstag selbst als Geschenk gemacht. Sehr zu empfehlen für anspruchsvolle Leser.