Buchtipps |
Ulrich Raulff: Wie es euch gefâllt
Ulrich Raulff: Wir es euch gefällt
Der Autor – bemerkenswerterweise ein Historiker – begibt sich auf die Spur der Geschichte des Geschmacks. Das Ergebnis ist, um es gleich vorwegzunehmen, eines der bedeutendsten deutschen Sachbücher der letzten Jahre. „Es ist schwer zu sagen, was er ist“, schreibt Raulff, „ja, ob es ihn überhaupt gibt. Doch zeigen lässt sich, was er bewirkt.“
Um 1760, zur Zeit des Siebenjährigen Krieges, entfachen die ersten europäischen Autoren einen Diskurs über Ästhetik und Schönheit: Was ist Geschmack, und welche Wirkung entfaltet er? Herder fragt um 1773 nach seiner Herkunft – woher er komme und wer ihn geschaffen habe. Zur gleichen Zeit gilt Rom als Hauptstadt einer wiederkehrenden Antike. Außereuropäische Kunstgegenstände gelangen vermehrt nach Europa und erweitern den Blick auf die Schönheit der Dinge.
Der Geschmack – unser Sinn für das Schöne – wird geprägt durch Künstler aller Darstellungsformen, durch Ästheten, Kopisten und Fotografen stets in fortwährender Entwicklung. Für Gadamer ist Geschmack eine Art Sinn, für Bourdieu ein sozialer Habitus.
Beides, ob Sinn oder Habitus, lässt sich durch Erziehung vermitteln, formen und kultivieren.
Dieses aufklärende, hinterfragende Buch ist eine echte Entdeckung: 480 Seiten, reich ausgestattet mit 52 farbigen Abbildungen.
Katja Gloger, Georg Mascolo : Das Versagen
Als Putin 2001 in Berlin eintrifft; liegt der Anschlag vom 11. September erst 2 Wochen zurück. Unmittelbar vor dem Attentat hatte Putin US-Präsident George W.Bush vor einem möglichen, bevorstehenden al-Quaida -Anschlag gewarnt. Da steht einer , der am 25.September 2001 vor dem Deutschen Bundestag in seiner zum größten Teil auf Deutsch gehaltenen Rede, Sätze sagt wie „Russland ist ein freundlich gesinntes europäisches Land“. Die Abgeordneten applaudierten, einer russischen Rede, die in entscheidenden Punkten von 2 Deutschen für Putin geschrieben wurde, von Teltschik und Mangold. Putins Hang zum Monolog zeigt sich früh. Ebenso wie Putins Anspruch auf Augenhöhe, die brüske Zurückweisung von Kritik jeglicher Art sowie die lange Liste angeblicher Demütigungen Russlands, die er immer wieder vorträgt. Gründlich recherchiert, spannend geschrieben . „ Eine umfassende kritische Aufarbeitung der Russlandpolitik der letzten Jahrzehnte war überfällig. Das Versagen füllt die Lücke in brillanter Weise. Das Buch von Russlandexpertin Katja Gloger und ihrem Ehemann, Ex Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo, ist die absolute Muss-Lektüre für jeden, der sich für die hoffnungsvollen Zielsetzungen, Illusionen und idealistischen Irrwege unserer Auspolitik interessiert.“ Wolfgang Ischinger, Vorsitzender des Stiftungsrates der Münchener Sicherheitskonferenz.
Heinz Strunk: Kein Geld Kein Glück Kein Spirit

Strunk wird immer besser. Diese Kurzgeschichten sind so skurriel lustig und traurig und unglaublich gut. Man möchte sie vorlesen. Für Strunkfans und die, die es werden könnten.
Caroline Wahl: Die Assistentin

Eine junge Frau, die ihren Traum, Musikerin zu werden, auch auf Druck ihrer Eltern aufgibt, bewirbt sich als Assistentin der Geschäftsleitung in einem Verlag und erlebt dort einen zutiefst demütigenden und zerstörerischen Arbeitsalltag unter ihrem Chef. Das Buch ist sarkastischer und raffinierter als ihre beiden Vorgänger mit viel Selbstironie. Empfehlenswert.
Nelio Biedermann : Lazar
Südungarn als Teil der Habsburger Doppelmonarchie mit dem dort gelegenen Waldschlösschen bildet den Rahmen, in dem der Familie des Barons Lazar ein Sohn mit wasserblauen Augen geboren wird , Lajos. Um 1900 , als der Roman beginnt, sind die traditionellen Strukturen in der Provinz noch in vollem Umfang vorhanden. Jeder im Schloss hat seinen angestammten Platz , trotzdem liegt Veränderung in der Luft. Das Beben des ersten Weltkrieges mit den für Ungarn verheerenden Folgen des Vertrages von Trianon mit dem das Land zwei Drittel seines Territoriums verliert , laufen parallel zum schleichenden Untergang der Familie Lazar. Die reflektierend und anspielungsreich erzählte Familiengeschichte über 3 Generationen lässt uns an ineinander verwobenen Schicksalen episodisch in gut strukturierten Kapiteln teilhaben. Die Katastrophen des 20.Jahrhunderts , den die Familie ausgesetzt ist, reichen von den beiden Weltkriegen bis zum Volksaufstand in Ungarn 1956 bis zur Emigration in die Schweiz. Im gesamten Verlauf der Geschichte wird ausgiebig gelebt und geliebt , so dass das Zwischenmenschliche nicht zu kurz kommt.
Hartmann, Lukas: Martha und die Ihren
In seinem neusten Roman schreibt Lukas Hartmann über seine Grossmutter Martha, die auf einem verarmten Bauernhof aufwächst. Der Vater ist nach einem Unfall bettlägerig, die Mutter stets kurz vor dem Zusammenbruch. Als der Vater stirbt reisst man die Familie amtlich auseinander und verteilt die Kinder als Verdingkinder in alle Richtungen. Martha lässt sich nicht unterkriegen. Sie arbeitet viel, heiratet früh und zieht selber zwei Kinder groß, wird Witwe und heiratet erneut, um abgesichert zu sein. Ihr Leben besteht aus Disziplin, Verzicht und Arbeit.
Das Buch besticht durch die sachliche, manchmal spröde Sprache. Wie bei Seethalers „Ein ganzes Leben“ , erlaubt es so eine Distanz zur Hauptfigur, die nicht in ihr Seelenleben schauen lässt. Für Gefühlsduseleien ist keine Zeit. Interessant ist wie Marthas Leben das der folgenden Generationen prägt. Erst ihr Enkel Bastian interessiert sich für die Gründe und versucht einen anderen Weg einzuschlagen. Ein ruhiges, aber sehr tiefes Buch, bei dem man unweigerlich an seine eigenen Familienverhaeltnisse denken muss. Absolut empfehlenswert.
Andreas Rödder, Der verlorene Frieden
Mit dem Fall der Mauer 1989 waren die Hoffnungen auf eine Zeitenwende groß, die demokratischen Werte würden sich weltweit durchsetzen. Während das Machtsystem des Ostblocks zerbrach, sich die meisten ehemaligen Mitgliedsstaaten nach Westen orientierten und somit der Westen expandierte, entstand für die Ukraine und Georgien ein Machtvakuum. Auch ist es nicht gelungen Rußland in die veränderte Lage mit einzubeziehen. Die Hoffnungen, dass die Mächte im Osten sich der neuen Entwicklung nicht entziehen können, hat sich nicht eingestellt. Ganz im Gegenteil, die revanchistischen Staaten Rußland und China empfanden die zu Gunsten des Westens gelaufene Entwicklung als Demütigung. Das extremste Beispiel ist das Scheitern des Demokratieexports nach Afghanistan. Der Westen muss im Innern wachsam gegen Putinpropaganda und Desinformation sein und nach außen die Grenzen verteidigen. Seit Trump sind die Karten neu gemischt, der weitere Verlauf ist noch nicht klar erkennbar. Die Wirtschaft des Westens befindet sich in einer globalen Abwartesituation. Das Buch von Andreas Rödder überzeugt mit seinen Faktenanalysen und seinem nüchternen Blick auf die globalen Herausforderungen unserer Zeit. C.Beck Verlag 2024/ 240 Seiten
Johannes Willms, Louis XIV
Der Historiker Johannes Willms hat zahlreiche Werke zur Geschichte Frankreichs vorgelegt. Louis XIV ist die historisch erste von drei überlebensgroßen Herrschergestalten Frankreichs.
Der Autor lässt uns verstehen, wie es nach der Glaubensspaltung im 16.Jahrhundert, dem daraus entstehenden Bürgerkrieg, sowie der Revolte des Hochadels ( „Fraude“) mit dem Ziel die Zentralmacht der Krone zu beschneiden, zum Absolutismus kam. Dieses Herrschaftsmonopol, in dem Militär, Verwaltung, Gesetzgebung, Staatskirche, Wirtschaftsordnung sowie höfische Kultur, zentral vom Monarchen geleitet wurde, war so erfolgreich, dass Frankreich zur führenden Macht Frankreichs aufstieg.
Louis XIV, 1638-1715 wurde bereits mit 5 Jahren, nach dem Tod seines Vaters, König , zunächst unter der Regentschaft seiner Mutter Anna von Österreich . Seine Selbstherrschaft begann 1661. Von seinen 77 Lebens-jahren führte er mehr als 42 Jahre Krieg. Von seinen Regierungsjahren ist es fast die gesamte Zeit, was Unsummen an Staatsgeldern verschlang. Fast die gleichen Beträge wurden für Repräsentationskosten und Hofhaltung veranschlagt. Mit dem Bau von Versailles wurde bereits bei Regierungsantritt 1661 begonnen.
Mit seinem letzten Buch hat er ein faszinierendes , wie schonungsloses Porträt des Sonnenkönigs und seiner Zeit geschaffen.
Jens Bisky, Die Entscheidung- Deutschland 1929 bis 1934
Der Autor zeigt wie vielschichtig die Ausgangssituation, 10 Jahre nach Versailles, in Deutschland 1929 war. Das neue Buch von Jens Bsky beschreibt die letzten Jahre der Weimarer Republik in der Zeit zwischen dem Tod Stresemanns 1929 und Hindenburgs 1934. Die Periode war geprägt durch Orientierungslosigkeit, Not und Verbitterung. Die Folge war der Aufstieg radikaler Kräfte verbunden mit der Auflösung des bürgerlich liberalen Milieus, der Aufruhr der Mittelschichten sowie der radikalen Ränder. Der Autor zeigt in seiner überzeugenden Darstellung die Situationen auf, wo teils durch unzutreffende Einschätzung, teils durch Zwang die Weichen falsch gestellt wurden. Flüssig geschrieben wird ein großes Panorama einer extremen Zeit geboten, die noch immer ihre Schatten auf die Gegenwart wirft.
Rowohlt Berlin 2024 / 690 Seiten
Christoph Driessen: Griff nach den Sternen

Hätten Sie gedacht, dass Helmut Schmidt die britische Labour-Partei mit einer brillanten Rede zu Europa
bekehrte? Oder dass der französische Präsident François Mitterrand die Schaffung des Euro als Entschärfung der deutschen Atombombe betrachtete? Schauen Sie hinter die Türen der Brüsseler Konferenzsäle und lauschen Sie lange geheim gehaltenen Gesprächen im Élysée-Palast! Folgen Sie Winston Churchill, der kurz nach dem Krieg die Vereinigten Staaten von Europa anstrebte, Charles de Gaulle, der Frankreichs Großmachtstellung durch Europa wiederherstellen wollte,und Angela Merkel, der „Königin Europas“!Christoph Driessen erzählt die Geschichte der EU, wie sie noch nie erzählt worden ist: zum Lachen und zum Weinen, zum Verzweifeln, zum Staunen und zum Mitfiebern.
Pustet Verlag 2024 / 288 Seiten /








