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Herfried Münkler: Welt in Aufruhr

Im Wandel war die Welt immer. Erst 1988 erschienen die Umwälzungen, vorläufig an ein an ein Ende gekommen sein. Als sich die SU auflöste, folgte eine Zeit der Illusion man hoffte, die Welt würde sich nach westlichem Verständnis demokratisieren. Franicis Fukuyama war wie viele andere der Meinung, dass „Ende der Geschichte“ sei gekommen. Gemeint war das Ende der Ideologien und somit der großen Kriege.
Ein Irrtum, wie sich sehr bald herausstellte. Afghanistan ein Weckruf!
Spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist es unverkennbar, dass sich unsere auf Werte und Normen basierte Weltordnung auflöst. Doch wie sortieren sich die Mächte neu und welche Umbrüche stehen uns dadurch bevor?
In einer detaillierten geopolitischen Analyse beleuchtet der profilierte Politikwissenschaftler die tiefgreifenden und folgeschweren Veränderungen. Welche Rolle wird das ständig an Bedeutung gewinnende China spielen. Welche Bedeutung wird der Gegenpol USA und welche die EU, die immer noch ihre Rolle sucht, zukünftig spielen. Münkler zeigt wo künftig sich Konflikte auftun und wo sich Risiken, aber auch Chancen auftun werden. Bei diesen profunden Maßstäben setzenden Buch handelt es sich um einen Ausblick auf die Machtkonstellation des 21. Jahrhunderts.
I
Daniel Kehlmann: Lichtspiel
Einer der Größten des Kinos, vielleicht der größte Regisseur seiner Epoche: Zur Machtergreifung dreht G.W. Pabst in Frankreich; vor den Gräueln des neuen Deutschlands flieht er nach Hollywood. Aber unter der blendenden Sonne Kaliforniens sieht der weltberühmte Regisseur mit einem Mal aus wie ein Zwerg. Nicht einmal Greta Garbo, die er unsterblich gemacht hat, kann ihm helfen. Und so findet Pabst sich, fast wie ohne eigenes Zutun, in seiner Heimat Österreich wieder, die nun Ostmark heißt. Die barbarische Natur des Regimes spürt die heimgekehrte Familie mit aller Deutlichkeit. Doch der Propagandaminister in Berlin will das Filmgenie haben, er kennt keinen Widerspruch, und er verspricht viel. Während Pabst noch glaubt, dass er dem Werben widerstehen, dass er sich keiner Diktatur als der der Kunst fügen wird, ist er schon den ersten Schritt in die rettungslose Verstrickung gegangen. Daniel Kehlmanns Roman über Kunst und Macht, Schönheit und Barbarei zeigt, was Literatur vermag: durch Erfindung die Wahrheit hervortreten zu lassen.
Der belgische Konsul von Amélie Nothomb
Sein erster Posten führt Patrick Nothomb in den jüngst unabhängig gewordenen Kongo. In Stanleyville soll er als Generalkonsul Belgien vertreten. Aber das Jahr 1964 hält anderes bereit, und so muss er, der kein Blut sehen kann, um das Leben Hunderter Geiseln verhandeln. Doch wer ist dieser junge Mann? Amélie Nothomb zeichnet das Bild seiner Kindheit zwischen belgischer Hautevolee und wilden Ardennen. Ein intimes Familienporträt, aber auch die Geschichte einer Welt im Wandel.
22 Bahnen von Caroline Wahl
Tildas Tage sind strikt durchgetaktet: studieren, an der Supermarktkasse sitzen, sich um ihre kleine Schwester Ida kümmern – und an schlechten Tagen auch um die Mutter. Zu dritt wohnen sie im traurigsten Haus der Fröhlichstraße in einer Kleinstadt, die Tilda hasst. Ihre Freunde sind längst weg, leben in Amsterdam oder Berlin, nur Tilda ist geblieben. Denn irgendjemand muss für Ida da sein, Geld verdienen, die Verantwortung tragen. Nennenswerte Väter gibt es keine, die Mutter ist alkoholabhängig. Eines Tages aber geraten die Dinge in Bewegung: Tilda bekommt eine Promotion in Berlin in Aussicht gestellt, und es blitzt eine Zukunft auf, die Freiheit verspricht. Und Viktor taucht auf, der große Bruder von Ivan, mit dem Tilda früher befreundet war. Viktor, der – genau wie sie – immer 22 Bahnen schwimmt. Doch als Tilda schon beinahe glaubt, es könnte alles gut werden, gerät die Situation zu Hause vollends außer Kontrolle.
Eine sehr gute Erzählung und auch Liebesgeschichte, die trotz des schweren und wichtigen Themas eine Leichtigkeit besitzt. Ich habe es an einem Tag verschlungen. Herzerwärmend, modern und optimistisch.
Safranski, Einzeln sein
Fester Einband
288 Seiten
Über die Besinnung und Reflektion, über das „Einzeln sein“, das eigene Ich haben sich bereits die griechischen Philosophen Gedanken gemacht. Im Mittelalter ist der Einzelne in dem Konstrukt der sozialen und religiösen Gemeinschaft aufgegangen. Für Safranski beginnt die Erforschung des „Einzeln sein“ mit der Renaissance über die Aufklärung bis zu den Individualisten und Existenzialisten.
Die Liste der großen „Einzelnen“ ist lang von De Montaigne über philosophische und literarische Genies, wie Rousseau, Diderot, Stendhal, Kierkegaard, zur Naturphilosophie von Emerson und Thoreau. Stefan George, der sich als Träger seiner auf sich fixierten Kunstreligion verstand. Karl Jaspers, dem es um die Philosophie der Existenz ging und Heidegger sowohl bewunderte als auch entschieden ablehnte.
Die große Kenntnis Rüdiger Safranskis über Heidegger und somit auch Hannah Arendt merkt man an den Kapitel 13 und 14 deutlich an. Dies trifft auch für die brillant geschriebene Darstellungen über Jean-Paul Sartre bis Ernst Jünger zu.
Das „Einzeln sein“ ist eine Zeiterscheinung unserer Gesellschaft geworden. Allein in Deutschland existieren 18 Millionen Einzelhaushalte. In anderen Ländern der westlichen Welt ist es ähnlich, fast jeder Vierte lebt allein. Was macht das Alleinsein mit uns? Rüdiger Safranski beleuchtet dieses Beispiel Thema anhand von Beispielen des Wirkens großer Persönlichkeiten.
Ein äußerst lesenswertes Buch, das im renommierten Hanser Verlag erschienen ist.
Herfried Münkler, Marx Wagner Nietzsche. Welt im Umbruch

Fester Einband
720 Seiten
Herfried Münkler gerade erschienenes neues Buch handelt von den drei großen Deutschen des 19. Jahrhunderts Wagner, Marx und Nietzsche. Deren Schaffen zeigte in der ganzen Welt Wirkung. Alle drei hatten mit Krankheiten zu kämpfen, die starken Einfluss auf Ihr Werk hatten. Der ständig verschwenderische Wagner teilte mit dem fast permanent überschuldeten Marx die revolutionären Bestrebungen. Wobei Wagner auf praktische Erfahrungen im Straßenkampf in Dresden verweisen konnte, während Marx die gesellschaftliche Veränderung wissenschaftlich analysierend untersuchte. Wagner sah die Opern Musik nicht nur zur Unterhaltung bestimmt, sondern schaute von der Bühne ins Publikum mit dem Ziel dieses aus dessen unaufmerksamen Zerstreuung zur konzentrierten Aufmerksamkeit führen zu können.Das äußerst beachtliche Arbeitspensum Wagners war verknüpft mit gerade perfektionistischer Selbstvermarktung. In Ludwig II. , König von Bayern, hatte er die ideale Geldquelle für seine Projekte gefunden. Nietzsche verachtete Bürger und Bürgerlichkeit noch mehr und grundsätzlicher als Marx und Wagner. Wobei letzterer sich immer mehr mit der Bourgeoisie arrangierte. Gleich im ersten Kapitel gelingt es Münkler teilweise Nähe, Distanz, aber auch Abneigung der drei untereinander darzustellen Der im 19.Jahrhundert allgemein grassierende Antisemitismus war bei allen dreien, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten vorhanden. Wirkliche Nähe, ja sogar Freundschaft verband Nietzsche und Wagner und er war dessen erster „Versteher“. Alle drei befassen sich mit Goethe, Hegel, Feuerbach und Heine. Letzterer wird von Nietzsche bewundert, Marx und Wagner treffen ihn persönlich in Paris. Nietzsche war, was für einen Philosophen keineswegs selbstverständlich ist, daran interessiert seine Überlegungen in einem möglichst für alle verständlichem, geradezu literarischen Sprache zu präsentieren. Das Marxsche Werk fußt auf der Verarbeitung und Analyse des Scheitern der Revolution von 1848 und was dieses für ihn bedeutete. Erstaunlicherweise haben laut Münkler Marx und Nietzsche kaum voneinander Notiz genommen. Dieses kenntnisreiche Buch hat Münkler sich zu seinem 70.Geburtstag selbst als Geschenk gemacht. Sehr zu empfehlen für anspruchsvolle Leser.
Martin Mosebach , Krass

Fester Einband
528 Seiten
Von den Gegenständen, mit denen der offensichtlich überaus erfolgreiche Geschäftsmann Krass seine Handelstätigkeit betreibt, erfährt der Leser nur am Rande. Die Gewinnspannen müssen enorm sein, dies ermöglicht Krass, die Menschen die er um sich schart, während einer gemein-samen Reise in den Golf von Neapel aufs feinste zu verwöhnen. Geld spielt keine Rolle, es wird in einem Spezialkoffer von seinem Sekretär in bar mitgeführt. Krass benötigt auch keine Rechnungen, er weiß was alles kostet. Das Geld fasst er persönlich niemals an, dass muss für ihn der mehr-sprachige Dr.Jüngel erledigen. Ein dienst-barer, unterwürfiger Sekretär und Organisator der Reise. Und da ist da auch noch Lidewine eine schöne und lebenslustige Belgierin, die zunächst als Assistentin eines Zauberers auftritt, dessen Vorstellung von der illustren Reisegesellschaft besucht wird. Krass, von der Ausstrahlung dieser jungen Frau fasziniert , beauftragt Dr. Jüngel sie unter Vertrag zu nehmen , mit genauen Vorgaben , um ihm Gesellschaft zu leisten. Nicht an einem sexuellen Verhältnis ist er interessiert, sondern allein mit ihrer jugend-lichen Schönheit und ihrem selbstbewussten Auftreten möchte er sich umgeben. Lidewine wird aus dem Geldkoffer großzügig bis zur exquisiten Perlenkette ausgestattet. Ein amouröses Abenteuer der jungen Frau führt zum Vertragsbruch, Krass entlässt sie sofort aus seinen Diensten. Die Gesellschaft zerfällt daraufhin und somit gibt es auch für Jüngel nichts mehr zu tun. Bezahlt wurde Jüngel für seine organisatorischen Diensten eigentlich nicht, was ihm erst im Nachhinein bewusst wird , so steht er wie andere Personen im Banne dieses Machtmenschen. Beim Trennungs-gespräch gibt Krass noch Jüngel den Rat „Versuchen Sie allein durchzu-kommen, ohne Kredit, ohne Partner, vertrauen Sie nur auf sich selbst.“ Jüngel fällt buchstäblich ins Leere , neben der Geldnot ist noch das Scheitern seiner Ehe hinzugekommen. Er zieht sich in ein Landhaus von Freunden im französischen Zentralmassiv zurück. Die Schilderung dieses Jahres der Selbstfindung Jüngels bildet den 2.Teil des Buches.
Im 3.Teil , 20 Jahre später , hat es Dr. Jüngel , inzwischen Professor für Urbanistik , beruflich nach Kairo verschlagen . Der Zenit von Krass ist lange überschritten , geschäftliche Pleiten haben ihn einsam werden lassen.
Bücher dieses mit dem Büchnerpreis ausgezeichneten Sprachkünstlers sind spannend und sachkundig, immer wieder ein Lesegenuss.
Jochen Schimmang , Mein Ostende

Fester Einband
144 Seiten
Es war Liebe auf den zweiten Blick und sie begann für Jochen Schimmang an einem grauen Novemberabend Anfang der achtziger Jahre, als er mit der Fähre zu spät angekommen war, und die Zugverbindung nach Köln verpasste. Sein unfreiwilliger Aufenthalt gestaltete sich so überraschend , dass er schon auf der Rückreise beschloss diesen Ort bei nächster Gelegenheit näher ergründen zu wollen.
Auf den Spuren der Geschichte wandelnd, weiß der Autor viel Interessantes zu erzählen : So zum Beispiel, dass Ostende eine Insel war , die unmittelbar vor dem damaligen Küstenstreifen lag und nur durch einen natürlichen Kanal vom Festland getrennt war. Bald nach der Eindeichung und Entwässerung entstanden die Orte auf der Insel, von denen Ostende der größte war. Von den einst prachtvollen Villen der ‚Königin der Seebäder“ ,wie Ostende in den Prospekten der Kaiserzeit gepriesen wurde, denn nicht nur Brüssel, sondern vor allem Ostende profitierte von den Investitionen Leopold II, in Prunkbauten wie Kursaal oder Sommerresidenz , ist heute fast nichts mehr zu sehen.
Nicht nur Ostende auch alle anderen Küstenorte Belgiens haben sich dafür entschieden, mit dem „Blick aufs Meer für alle“ Kapital zu schlagen. Die heutigen Urlauber und Kurzbesucher der Stadt genießen das demokra-tische Angebot aller Qualitäts- und Preisklassen an Unterkünften und Restaurants .
Das interessant und flüssig geschriebene Buch macht Lust auf eigene Entdeckungen auf den Spuren großer Autoren wie Stefan Zweig und seine Kreise. Oder Simenon, von dem Kriminalromane auch in Ostende spielen. Den Malern von Ensor bis Spillaert, oder dem Filmemacher Henri Stock. Die Musiker alle aufzuzählen ,die hier aufgetreten oder teilweise gelebt haben, würde den Rahmen sprengen. Exemplarisch für empfehlenswerte Cafés sei nur das „Leesehuis“ und das „Botteltje“ genannt. Unbedingt empfiehlt der Autor einen Besuch im MuZee“.
Markus Kaiser , Bahnwanderland Belgien

Taschenbuch
107 Seiten
Der gerade erschienene Führer von Markus Kaiser deckt eine Marktlücke. Mit dem Zug erreicht man in kurzer Zeit die ausgewählten Ausgangspunkte in Belgien. Schon bei der Anreise kann man entspannt die Landschaft genießen und muss sich nicht auf den Straßenverkehr konzentrieren. Der gut geschriebene und einladend bunt bebilderte Führer bietet 11 Touren in der Wallonie, oft Ardennen, und 5 Wanderungen in Flandern. Geboten wird ein guter Mix unterschiedlicher Landschaften mit einigen kulturellen Highlights. Zwischen 6 und 17,5 km lang sind die vorgeschlagenen Wanderungen, mal sind es Rundwanderwege, mal sind es Wandertouren von Ort zu Ort , bei denen auch die Einkehrmöglichkeiten , soweit vorhanden , ausgewiesen werden. Am Ende jeder Wanderung ist dann auch der Bahnhof für die Rückreise erreicht. Außerdem werden weitere 10 Ausflugsziele vorgeschlagen, die man zusätzlich erkunden kann.
Christoph Nonn: 12 Tage und ein halbes Jahrhundert: Eine Geschichte des deutschen Kaiserreichs 1871-1918

Fester Einband
678 Seiten
Der Historiker für neuere Geschichte Christoph Nonn nennt die Einleitung seines Buches „Gebrauchsanweisung “ und das zu Recht. Er hat sich für die Schilderung von 12 Geschichtsabschnitten aus unterschiedlichen Themenbereichen entschieden , was das Buch lebendig und gut lesen gestaltet: Entwicklung der Sozialgesetzgebung , Industriealisierung und strukturelle Modernisierung , Kulturkampf , Aussenpolitik Kolonialpolitik, Verhältnisse und Entwicklung der Parteien im Parlament, Regierung innerhalb der Staaten der Monarchie.
Die Geschichte des Staatsgebildes, das vor 150 Jahren im Spiegellsaal von Versailles durch die Ausrufung des preußischen Königs Wilhelm zum deutschen Kaiser entstand und seine vielschichtige Entwicklung wird erfreulich angenehm und differenziert dargestellt .
Durch die eindeutigen Vorteile der Einigung in dieser äußerst dynamischen Zeit verwandelt sich Deutschland vom rückständigen Agrarland zu einer der führendsten Industrienationen. Auch die deutsche Hochschulpolitik trug Früchte, abzulesen an den Nobelpreisen. Vor dem 1. Weltkrieg ging jeder 3.Nobelpreis an deutsche Forscher. Überall ging es vorwärts , auch im kulturellen Bereich , Bildungsmöglichkeiten Bibliotheken, Museen .
Wer das Kaiserreich nur auf Pickelhaube und Marschmusik reduziert, liegt falsch und lese das ausgewogen dargestellte Buch über diese Periode.
Erschienen im C.H.Beck Verlag 2020 und bei uns erhältlich.




